Wir stehen derzeit vor einer beispiellosen Gesundheitskrise. Als Reaktion darauf stimmten die grünen Parlamentarier sowohl in der Kammer, als auch in den anderen Parlamenten dafür, ihren jeweiligen Regierungen Sonderrechte zu erteilen. Diese getroffene Entscheidung ermöglicht es, den verschiedenen Regierungen, die wirksamsten Maßnahmen zur Bekämpfung dieses Virus und seiner gesundheitlichen, sozialen und wirtschaftlichen Auswirkungen, zu ergreifen.
Aber wie kann die parlamentarische Kontrolle sichergestellt werden, wenn eine Ausgangssperre aus Gründen der öffentlichen Gesundheit im gesamten Staatsgebiet organisiert wird, die sich natürlich auch an Parlaments- und Regierungsmitglieder und ihre Dienststellen richtet? Wie können wir sicherstellen, dass die als vorläufig angekündigten Maßnahmen zur Einschränkung der Freiheiten nicht dauerhaft gelten? Wie können Grund- und Freiheitsrecht im öffentlichen Raum und in der Rechtspflege geschützt werden? Wie können wir sicherstellen, dass die Sperrmaßnahmen nicht diskriminierend sind?
All dies sind legitime Fragen, die von uns eine unterstützende Wachsamkeit verlangen, die genau so akut ist, wie die Krise selbst. Auch wenn diese Krise auf einen gesundheitlichen Notfall reagiert, stellt sie zugleich das Funktionieren unserer öffentlichen Dienste, die Solidität unserer demokratischen Institutionen und die Wahrung unserer Rechte und Freiheiten, auf die Probe.
Der Schutz und die Verbesserung der Demokratie stehen im Mittelpunkt der grünen Politik, und diese Ideale spielen eine große Rolle in unseren individuellen Verpflichtungen. Unsere Neigung spornt uns daher an, von vornherein allen Mechanismen zu misstrauen, die es der Exekutive erlauben, mehr Macht in ihren Händen zu bündeln, als dies normalerweise der Fall ist.
Natürlich hätten wir es vorgezogen, wenn sich die Bewilligung von Sonderrechten an die Exekutivorgane nie als notwendig erwiesen hätte. Doch im Zusammenhang mit der globalen Covid-19-Pandemie und der Entwichklungszahl der kranken oder sich in Quarantäne befindenden Parlamentarier, konnte das für die Entscheidungsfindung erforderliche Quorum kaum gewährleistet werden. Wir waren der Ansicht, dass diese Entscheidung nötig war, um das Funktionieren der öffentlichen Dienste zu gewährleisten. In erster Linie gilt das für unser Gesundheitssystem und um rasch die Maßnahmen zum Schutz der Gesellschaft einzuführen, insbesondere der schwächsten Personen (ältere Menschen, Kranke, Obdachlose, Migranten ohne Papiere, Migranten, Prostituierte, prekäre Arbeitnehmer usw.) und der Arbeitnehmer im Bereich der persönlichen Assistenz und des Gesundheitswesens.
In den verschiedenen Parlamenten, in denen wir sitzen, haben wir unsere Abstimmungen über diese Sonderrechte davon abhängig gemacht, dass die beschlossenen Ermächtigungen durch eine Reihe von Richtlinien streng umrahmt werden müssen. Die Sonderrechte sind also zeitlich begrenzt und auf den Kontext der Pandemie bezogen; Ihr Anwendungsbereich im Rahmen der Kompetenzen der Minister ist den Umständen entsprechend beschränkt, auch wenn es auf den Regierungsebenen erhebliche Unterschiede gibt. Die auf der Grundlage dieser Sonderrechte verabschiedeten Erlasse müssen dem Parlament mitgeteilt und von den Parlamenten innerhalb einer bestimmten Frist bestätigt werden. Schließlich sind es die Parlamente selbst, die gegebenenfalls die Klausel zur Verlängerung der Sonderrechte innerhalb der festgelegten Höchstfrist aktivieren.
Die Gewährung von Sonderrechten wirft zwangsläufig wichtige demokratische Fragen auf und erfordert höchste Wachsamkeit. Die Texte, über die abgestimmt wurde, sind nicht perfekt und wir sind uns dessen bewusst.
Wenn es darüber hinaus auf die Buchstaben dieser Rechtsvorschriften ankommt, wird ihre Anwendung und ihre Auslegung in einem völlig neuen Kontext genauso wichtig sein, wenn nicht sogar noch wichtiger. Der Premierminister und die verschiedenen Ministerpräsidenten haben ihren Willen geäußert, die Sonderregelungen unter strikter Einhaltung des Notwendigen auszuüben. Auf föderaler Ebene haben sich angesichts der Minderheitsregierung die Fraktionsgruppen der Opposition zusammengeschlossen, um an der Umsetzung der Sonderkommission zu arbeiten, die von Ecolos gefordert und durchgesetzt wurde.
In diesem Zusammenhang können die Missbrauchsgefahren, bezüglich der föderalen Ermächtigungen, insbesondere im Hinblick auf die Grundrechte des Einzelnen und die Unabhängigkeit der Justiz, legitimerweise befürchtet sein, und sind deshalb Gegenstand ständiger Aufmerksamkeit unsererseits.
Unsere Stimmen stellen keinen Blankoscheck für die Exekutive dar, weder für die Föderalregierung, noch für die föderalen Einheiten. Die Mechanismen zur Ausübung der Kontrolle über das Regierungshandeln wurden sicherlich gelockert, aber sie bleiben in unterschiedlicher Form in allen Versammlungen erhalten. Wir bewachen die Anwendung der oben genannten Richtlinien und kümmern uns um ihre Verbesserung, falls erforderlich. Falls die Umstände es verlangen, haben die Parlamente die Möglichkeit, die Arbeit der parlamentarischen Ausschüsse wieder aufzunehmen.
Darüber hinaus basiert die Demokratie nicht nur auf schriftlichen Regeln, die es ermöglichen sich dafür zu engagieren. Dies beinhaltet auf der einen Seite, dass die Begriffe der öffentlichen Debatte respektiert werden: Wir wollen, dass die Informationen über die Gesundheitskrise sowohl verfügbar als auch für alle verständlich sind, sei es das politische Handeln der betroffenen Regierungen oder die wissenschaftliche Dokumentation der Pandemie. Letztere erfordern andererseits, dass jeder die sozialen, wirtschaftlichen und kulturellen Rechte genießt, die für die Teilnahme am öffentlichen Leben erforderlich sind. Wir leben nicht alle gleichberechtigt in unserem täglichen Leben und sind daher umso ungleicher angesichts der Einschränkung. Ob es sich um den Zugang zu Gesundheitsversorgung, sozialen Rechten, Justiz oder Bildung handelt, die Maßnahmen zur Bewältigung der Krise und ihrer Auswirkungen dürfen niemanden opfern und müssen diejenigen privilegieren, die am meisten benachteiligt sind.
Unsere Gemeinschaft ist mehr als die Summe der Interessen, die sie vertritt. In diesem Sinne basiert der demokratische Charakter unseres Systems nicht nur auf Regeln, sondern auch und vor allem auf kollektivem Engagement und einer demokratischen Kultur. Unsere politische Verantwortung besteht darin, unsere Vorrechte mit allem Skrupel und dem nötigen Gespür auszuüben, und wir zählen auf die Bürger und vor allem auf die Zivilgesellschaft, damit wir alle wach und uns darüber bewusst sind, wie zerbrechlich und zugleich kostbar unsere Freiheiten sind.
Geschrieben von:
Georges Gilknet, Stéphane Hazéé, John Pitseys, Matteo Segers, Freddy Mockel, Hélène Ryckmans, Barbara de Radiguès, Magali Plovie
Hallo,
Wie beurteilt ECOLO 9 Monate nach dieser Stellungnahme, 12 Monate nach Beginn der Corona-Krise, 4 Monate nach der ECOLO-Regierungs-Beteiligung auf föderaler Ebene und nach der gestrigen Stellungnahme vs. Politikwissenschaftler und Juristen (Le Soir) die hier aufgeworfenen Fragen bzgl. Schutz der Demokratie und der individuellen Freiheiten.
„Bereitet die Politik das Ende der Demokratie vor?“ wie gestern in den Medien zu lesen war?
Ich vermisse die Beteiligung von ECOLO an der fast täglichen öffentlichen Erörterung dieser Fragen. Oder ich habe sie einfach nicht gefunden.
Nachdem ich vor einigen Monaten auf meine Frage, wie ECOLO die Corona-Krise bewertet, keine Antwort erhalten habe, wäre ich diesmal für eine Reaktion dankbar.
Freundliche Grüße
Dieter Leonard
Hallo Herr Leonard,
Zurecht wird in den letzten Monaten immer mehr die Frage nach den individuellen Freiheiten und dem Schutz der Demokratie aufgeworfen.
In dieser Hinsicht hat sich die Ecolo-Fraktion im PDG in den vergangenen Monaten besonders dafür stark gemacht, dass dies insbesondere für die Schwächeren gilt, beispielsweise die Kinder und Jugendlichen. In unseren Interventionen und Fragen war uns daher der Präsenzunterricht für Kinder und Jugendliche und besonders ihr psychisches Wohlbefinden ein wichtiges Anliegen. Auch haben wir immer besonders darauf geachtet, dass die DG-Regierung möglichst wenig auf Sondervollmachten zurückgreift, was der Fall ist, aber auch zum Glück ein breites Anliegen ist, das nicht nur Ecolo am Herzen liegt.
Zentraler parlamentarischer Ort in der Frage zum Schutz der Freiheiten und der demokratischen Prinzipien ist aber seit Monaten die föderale Kammer, wo diese Frage bei der Ecolo-Groen-Fraktion im Zentrum ihrer öffentlichen Fragen und Interpellationen steht. Fragen zur Rechtsstaatlichkeit, zur Verfassungskonformität und der notwendigen demokratischen Debatte. Deshalb ist Ecolo in der Kammer aber auch wir froh, dass endlich die Verabschiedung eines Pandemiegesetzes ins Rollen gekommen ist. Auch hier bleibt Ecolo wachsam, denn hier sind noch Mängel in Sachen Datenschutz die für uns nicht durchgehen sollten und noch angepasst werden müssen.
Freundliche Grüße
Laura Havenith
Kommunikationsbeauftragte Ecolo Ostbelgien
Demokratie bedeutet, dass sich auch ein Parteivorsitzender an Regeln hält oder – wenn er sie als überholt oder nutzlos erachtet – als Regierungspartner auf deren Abänderung hinarbeitet.
Wir stehen möglicherweise vor einer 3. Welle und Herr Nollet hat nichts besseres zu tun, als diejenigen zu bestärken, die sich ohnehin nie an Regeln gehalten und dazu beigetragen haben, dass das Virus leichtes Spiel hatte. Verantwortungsloser geht es kaum.
Hallo Herr Leonard,
als am 24.02.21 Jean-Marc Nollet zu der Frage befragt wurde, ob man die soziale Blase zu jeder Zeit und an jedem Ort respektieren sollte, hielt er eine ehrliche und aufrichtige Antwort für notwendig. Wir sehen Tag für Tag die Schäden, die durch die verlängerten Maßnahmen in der Gesellschaft verursacht werden, insbesondere für die psychische Gesundheit. Auch wenn Ecolo an der Entscheidung beteiligt war, die auf dem Höhepunkt der Krise das Prinzip der sozialen 1-Person-Blase eingeführt hat, weil es damals notwendig war, macht es die Entwicklung des Gesundheitskontextes heute möglich, eine Erweiterung der Blase zu veranlassen.
Außerdem, sind wir ehrlich: Die heute vorherrschende Situation in Bezug auf Standards ist nicht mehr haltbar und darüber hinaus bereits weitgehend hinfällig.
Die Gesellschaft leidet und niemand kann sich ihr entziehen. Sich der Realität zu stellen, ist ein Weg, sie zu entwickeln. Hinter dieser Reaktion steckte kein politisches Kalkül. Diese Diskussionen finden auch innerhalb der verschiedenen Regierungen statt, an denen wir beteiligt sind und wo wir Tag für Tag versuchen, die Dinge zu verändern.
Freundliche Grüße
Laura Havenith
Kommuniaktionsbeauftragte Ecolo Obstbelgien