„Such dir Vorbilder“, war der 1. Ratschlag, den mir eine erfolgreiche Unternehmerin in einem Mentoring-Programm mit auf den Weg gab. Seit ich mit 24 Jahren mein erstes Unternehmen gegründet habe, folge ich diesem Leitsatz, schaue mir an, was andere gut gemacht haben und suche den Erfahrungsaustausch mit Entscheidungsträgern. Als ich 2019 meine ersten Schritte in der Parteipolitik machte – engagiert für Nachhaltigkeit und Inklusion bin ich schon länger – musste ich recht ernüchtert feststellen, dass die PolitikerINNEN in leitenden Funktionen in der DG an einer Hand abgezählt werden können. In den letzten 20 Jahren gab es genau 2 Bürgermeisterinnen und – inzwischen – 2 Ministerinnen. Gemessen an dem Umstand, dass Frauen etwa die Hälfte der Bevölkerung ausmachen, sind wir hier noch sehr weit von einem repräsentativen Verhältnis entfernt.
Dass Frauen in vielen Bereichen unterrepräsentiert sind, ist bekannt. Ich war regelmäßig unter den 20% Frauen auf Tech-Konferenzen oder Veranstaltungen der Industrie- und Finanzwelt. In Kundengesprächen und Verwaltungsräten war ich häufig die einzige Frau am Tisch. Jung (noch) – klein – Frau. Nicht die besten Voraussetzungen, um sich Gehör zu verschaffen, aber man lernt hinzu. Es war auch nicht so, dass man mich mit Absicht herablassend behandelte. Im Gegenteil, ich habe manchen Anruf nach hitzigen Sitzungen erhalten, in dem sich Teilnehmer für ihr Verhalten entschuldigten. Aber viele latent sexistische, machohafte Verhaltensmuster sind noch so tief verankert, dass sie gar nicht direkt auffallen.
Warum sich in der Politik keine männlichen Vorbilder suchen, wird man mir sagen. Sicher. Die gibt es auch, und das ist gut so. Aber auch im Jahr 2023 fällt bei aller Gleichberechtigung der Großteil der Familienplanung und Care-Arbeit immer noch in die mentale Aufgabenlast der Frauen und Mütter. Wir brauchen Vorbilder, die uns ehrlich aufzeigen, wie es möglich ist, Arbeit, Familie, Engagement und Gesundheit unter einen Hut zu bringen. Wir brauchen mehr Frauen in der Politik. Und wir brauchen eine Politik, die es Frauen ermöglicht, ihr Mandat auszuüben, ohne ihre Gesundheit oder ihre Familie aufs Spiel zu setzen. Auch Frauen haben unterschiedliche Überzeugungen, unterschiedliche Erfahrungen, unterschiedliche Vorstellungen davon, wie die Zukunft aussehen sollte. An dem Tag, an dem wir keine Quoten mehr brauchen, um Frauen die Tür zu öffnen, sind wir wieder ein ganzes Stück weiter.
Fabienne Colling
Co-Präsidentin Ecolo Ostbelgien
Spitzenkandidatin PDG-Wahlen 2024
Termine immer freitags in Eupen auf Anfrage