Sehr geehrter Herr Vorsitzender,
werte Kolleginnen und Kollegen aus Parlament und Regierung,
Das neue Gemeindedekret der Deutschsprachigen Gemeinschaft. Wie es scheint, sind die Debatte und die Verabschiedung heute Abend nur noch reine Formsache. Anders ist es nicht zu erklären, dass die Ministerin in der Presse schon vergangene Woche umfangreich über die anstehenden Änderungen informiert hat. Verkauft wurde das Gesetz dort als Paradebeispiel dafür, wie die Dinge einfacher und besser laufen, sobald die DG sie erst mal selbst in der Hand hat. Bessere Lesbarkeit, Transparenz, Qualität.
Und ja, die positiven Seiten gibt es tatsächlich. Das Gesetz ist lesbarer geworden. Die Gemeinderatsmitglieder müssen nicht mehr unbedingt ins Rathaus laufen, wenn sie die Protokolle der Kollegiumssitzungen einsehen wollen.
Besonders stolz ist man darauf, dass jedes Gemeinderatsmitglied künftig nur noch drei bezahlte Mandate in Interkommunalen wahrnehmen darf. Auch das, lobenswert meine Damen und Herren. ECOLO wäre gerne weiter gegangen und hätte auch dafür gesorgt, dass die Schöffen in Zukunft nicht gleichzeitig auch hier im PDG über die Gemeindeangelegenheiten mit bestimmen dürfen. Auch das würde dazu beitragen, die Demokratie in Ostbelgien zu stärken und Vetternwirtschaft wie wir sie bei manchen Interkommunalen erlebt haben zu verhindern. Wir hatten im Ausschuss einen entsprechenden Abänderungsvorschlag hinterlegt, der bei der Abstimmung abgelehnt wurde. ECOLO fordert diese Unvereinbarkeit seit langer Zeit und wird in dieser Sache auch nicht locker lassen. In diesem Sinne haben wir denselben Abänderungsvorschlag auch heute wieder hinterlegt.
Ebenso stolz ist man darauf, dass die Gemeinden künftig ein öffentliches Register über die Mandate aller Gemeinderatsmitglieder führen sollen. Wer sich nicht daran hält und seine Mandate nicht angibt, muss mit einer Verwaltungsstrafe rechnen.
Werte Kolleginnen und Kollegen, das wäre an sich ja eine feine Sache. Wäre da nicht die Tatsache, dass man hier nur eine ältere Bestimmung ersetzt, die genau dieses Parlament hier vor drei Jahren abgeschafft hat! Das Gemeinderatsmitglied aus Welkenraedt, Weismes oder Stavelot reicht seine Mandatserklärung nicht bei seinem Generaldirektor ein, sondern bei der Aufsichtsbehörde in Namur. Und wenn es sich wiederholt weigert, das zu tun, dann kostet das nicht 500€ Verwaltungsstrafe, sondern das Amt! Und in Ostbelgien? Hier ist man stolz darauf, dass die Liste im Internet steht. Und man freut sich, dass die Verwaltung in der Gospertstraße weniger Aufwand hat. Hier wird also – mal wieder – als große Errungenschaft der ostbelgischen Autonomie verkauft, was in Wirklichkeit ein Rückschritt ist.
Wo ich gerade bei den bedauernswerten Rückschritten der ostbelgischen Autonomie bin, will ich zum Abschluss den Artikel 23 des neuen Gemeindegesetzes ansprechen. Da geht es um den Vorsitz des Gemeinderates. Der Artikel wurde uns im Ausschuss vorgestellt mit den Worten „Wir haben das sinngemäß übernommen, aber etwas vereinfacht.“ Genau so steht es auch in der Begründung des Dekretes. Erst auf den Einwand von zwei Oppositionsvertretern hat sich dann herausgestellt, dass „etwas vereinfacht“ leicht untertrieben ist!
Der Vorschlag der Regierung sieht nämlich vor, abgesehen von ein paar wenigen Ausnahmefällen der Bürgermeister grundsätzlich auch immer den Vorsitz des Gemeinderates führt. Der bisherige Kodex dagegen sieht vor, dass der Gemeinderat sich seinen Vorsitzenden bei Bedarf gänzlich frei bestimmen darf.
Ebenso wie der Präsident dieses Parlamentes spielt der Vorsitzende des Gemeinderates eine zentrale Rolle im Funktionieren der Demokratie unserer Gemeinden. Er erteilt das Wort, er entzieht das Wort wenn es nötig ist, er hat einen entscheidenden Einfluss darauf, was überhaupt auf die Tagesordnung gesetzt wird, und nicht zuletzt ist er verantwortlich dafür, was am Ende der Sitzung im Protokoll steht.
Werte Kolleginnen und Kollegen, Sie glauben doch nicht ernsthaft dass es da eine besonders demokratische Idee ist, diesen Job genau der Person zu geben, die dem Rat am Ende des Tages Rechenschaft für ihre eigene Arbeit schuldig ist? Nach der Logik könnten wir uns auch unseren Präsidenten hier sparen und gleich den Kollegen Paasch hier oben hinsetzen. Der wird dann auch gleich Senator. Das wäre doch mal effizient!
Jetzt werden Sie sagen, der Vergleich hinkt. Das tut er. Ein bisschen. Ein Gemeinderat ist kein Parlament, sondern eben „nur“ ein Verwaltungsorgan. Da gelten andere Regeln. Stimmt. Andere Regeln gelten aber auch in den Provinzialräten. Auch die sind lokale Verwaltungsorgane, genau wie unsere Gemeinderäte. Und auch da führt der Gouverneur nicht auch noch den Vorsitz des Rates. Aber es geht ja hier gar nicht darum, dass der Bürgermeister nicht auch den Gemeinderat leiten darf, wenn man das in der Gemeinde denn so will. Es geht darum, dass der Gemeinderat auch beschließen darf, dass das auch jemand anderes macht. Weil eine Gemeinde eben nicht demokratischer wird, indem der Chef entscheidet, worüber geredet werden darf! Wer denkt sich denn bitte so was aus?
Genau darum haben die flämischen Gemeinden schon seit 2006 die Möglichkeit, sich ihren Ratsvorsitzenden selbst auszuwählen. Und genau darum haben die Brüsseler Gemeinden seit 2012 die Möglichkeit, sich ihren Ratsvorsitzenden selbst auszuwählen. Und genau darum haben auch die wallonischen Gemeinden seit 2012 die Möglichkeit, sich ihren Ratsvorsitzenden selbst auszuwählen. Und das schloss bisher eben auch die neun deutschsprachigen Gemeinden mit ein. Bisher. Denn genau das will man heute Abend wieder rückgängig machen, werte Kolleginnen und Kollegen.
Ich komme nochmal auf unsere Ausschussdebatte zurück. Die erinnern sich, als die Opposition die Mehrheit darauf aufmerksam machen musste, dass sich hier allerdings nicht nur in der Formulierung, sondern auch sinngemäß so einiges ändert, und dass der Entwurf der Regierung ein ganz essenzielles Werkzeug für die Demokratie in unseren Gemeinden abschafft, ohne dass wir überhaupt darauf hingewiesen wurden.
Immerhin, nachdem man auf das Problem aufmerksam gemacht hatte, wurde die Erklärung zumindest mündlich nachgeliefert. Und die lautete so: „Wir haben die Bürgermeister gefragt. Die fanden das nicht wichtig.“ Nicht, „Wir haben die Gemeinden gefragt“. Nein, „Wir haben die Bürgermeister gefragt“.
Ja sag bloß. Meine Damen und Herren, die ostbelgischen Bürgermeister, die zum Teil seit über 20 Jahren in ihrem Gemeinderat den Grand Chef markieren dürfen, die finden es nicht wichtig, dass sie diese Autorität eventuell mit jemand anderem teilen müssten. Und damit ist das Thema dann gegessen!
Zweites Argument der Regierung: „Das hat man bei uns noch nie genutzt“. Naja. Das ist an sich schon richtig. Es ist aber auch nicht überraschend, wenn man bedenkt, dass die Gemeinden überhaupt erst seit 2012 die Möglichkeit dazu hatten. Und anders als im fanzösischsprachigen Landesteil, wo das Thema als Politikum bekannt war, eben weil sich eine Reihe von Parteien im Wallonischen Parlament vehement dafür eingesetzt hatten, wusste bei den Koalitionsgesprächen in der DG kaum jemand davon, dass es diese neue Möglichkeit überhaupt gab. Einer der größten Fürsprecher war im Wallonischen Parlament damals übrigens die cdH, werte Kolleginnen und Kollegen von der CSP!
Und wie geht man in unserer kleinen DG mit der Sache um, kaum dass man die Zuständigkeit von Namur geerbt hat? „Braucht das noch einer, oder kann das weg?“ Wenn ich nicht weiß wozu es gut sein soll, schaffe ich es lieber einfach mal ab.
Wenn sich also in den 589 belgischen Gemeinden nach den Wahlen im Herbst die neuen Gemeinderäte versammeln, dann dürfen sich 580 davon ihren Vorsitzenden frei wählen. Damit hätte dann die Deutschsprachige Gemeinschaft einmal mehr ihre neu gewonnene Autonomie genutzt, um ererbte Demokratie wieder abzubauen.
„Demokratie ist kein Naturgesetz“, mit diesen Worten hat der Ministerpräsident erst vergangene Woche die Aktionstage zur politischen Bildung vorgestellt. Ich gebe ihm Recht! Eine funktionierende Demokratie braucht Menschen die daran arbeiten sie zu stärken und sie eben auch zu erhalten!
Eben darum hat die ECOLO Fraktion im Ausschuss einen Abänderungsvorschlag hinterlegt, der nichts weiter tut, als die aktuelle Regelung beizubehalten. Auch dieser Vorschlag wurde von den Mehrheitsfraktionen, aber auch von der CSP einstimmig abgelehnt. Und das völlig ohne Not. Es geht ja nicht mal darum, dass hier etwas Neues eingeführt werden soll. Es geht nur darum, dass die neun deutschsprachigen Gemeinden die gleichen Rechte behalten, die sie heute schon haben!
Werte Kolleginnen und Kollegen, wir haben denselben Vorschlag heute erneut hinterlegt. Bis zur Abstimmung bleiben noch gute zehn Minuten. Zehn Minuten, in denen Sie sich dazu beraten können, ob sie diesem Vorschlag nicht doch zustimmen wollen. Bitte lassen Sie uns unsere ostbelgische Autonomie nicht, unsere Gemeinden in ihren demokratischen Freiheiten zu beschränken!
Marc Niessen,
Ecolo-Fraktion im PDG
Sehr gute Intervention, Marc, und sehr gut argumentiert.
Da der Inhalt dieser Intervention nicht seitens Presse und Rundfunk an die Öffentlichkeit kommt, schlage ich vor, diese wortwörtlich in irgendeiner Form an die Öffentlichkeit zu bringen (am besten im GrenzEcho). Diese muss darüber informiert werden.
Schöne Grüße
Oswald