Nach Ansicht von Ecolo Ostbelgien werden in der aktuellen schulischen Situation einige Kinder viel zu wenig beachtet. Nicht jede Familie hat in ihrem Zuhause ausreichend Platz und die nötige Ausstattung, damit die Schülerinnen und Schüler konzentriert arbeiten können. Darauf weisen Ingrid Rosenstein, Pascal Collubry und Andreas Jerusalem in einer gemeinsamen Erklärung hin. Sie fordern deshalb eine Öffnung der Notbetreuung für die betroffenen Schülerinnen und Schüler.
Seit Mittwochabend herrscht Gewissheit: Die Schulen bleiben noch mindestens bis zum 4. Mai geschlossen. Bis Montag, den 20. April, musste das Lehrpersonal neue Arbeitsaufträge für die Schülerinnen und Schüler vorbereiten. „Das war nicht nur aufgrund der Kürze der Zeit eine enorme Herausforderung. Obendrein ist die Art der Arbeit eine andere: Mit dem sogenannten „Pre-Teaching“ hat schließlich kaum jemand nennenswerte Erfahrung“, erklärt Gemeinschaftsabgeordneter Andreas Jerusalem. Dadurch sollen die Schüler zu Hause neue Inhalte und Kompetenzen erarbeiten. Diese knüpfen an bekanntes Wissen an und sollen nach der Wiederaufnahme des Unterrichts in den Schulen schneller erarbeitet werden als gewöhnlich. „Dafür konnten das Lehrpersonal aber nur in geringem Maße auf vorhandene Unterlagen zurückgreifen, bzw. musste diese mindestens ergänzen und anpassen“, so Jerusalem weiter. „Ich möchte noch einmal darauf hinweisen, dass diese Arbeitsaufträge an den schwächsten Schülern mit der schwierigsten privaten Situation ausgerichtet werden sollten. Der freiwillige Zusatzteil muss deshalb deutlich umfangreicher sein, als der Pflichtteil!“, appelliert Jerusalem außerdem an die Lehrerschaft, die Chancengleichheit nicht aus dem Blick zu verlieren.
Seit Montag ist das Lehrpersonal wieder für die Notbetreuung in den Schulstandorten zuständig. Außerdem müssen sie die Arbeit ihrer Schülerinnen und Schüler aus der Ferne begleiten. Diese Arbeit bleibt eine enorme Herausforderung für alle Beteiligten: „Die Hilfestellung aus der Ferne ist nie so wirkungsvoll wie im Klassenzimmer. Außerdem wird nun dort gearbeitet, wo sich gewöhnlich der Familienalltag abspielt. Vielerorts sind gerade Eltern und Kinder im Homeoffice und das seit mehreren Wochen. Das kann für Spannungen sorgen“, berichtet Pascal Collubry, Co-Präsident von Ecolo Ostbelgien und Sekundarschullehrer. „Glücklicherweise verfügen die meisten Familien über die räumlichen Möglichkeiten, das zu meistern – zumindest den Umständen entsprechend.“ Ingrid Rosenstein ergänzt: „Es kann aber nicht jede Familie im Kinderzimmer, Büro und Schlafzimmer einen Arbeitsbereich einrichten. Manche Familien wohnen in viel zu kleinen Wohnungen. Dort gibt es schlichtweg keine Rückzugsmöglichkeit, keine Ruhe zum Arbeiten, zum Teil nicht mal einen Tisch und einen Stuhl.“ Nach Ansicht der Ecolo-Politiker handle es sich bei diesen Familien ohnehin um die, die im Bildungsbereich den schwierigsten Stand haben. Nicht nur die Schulen, auch die Hausaufgabenschulen und z. B. die Viertelhäuser wurden schließlich von einem Tag auf den anderen geschlossen. „Diese Einrichtungen sorgen durch ihre wertvolle Arbeit für einen echten Beitrag zu mehr Chancengleichheit. Nun drohen zahlreiche Kinder noch weiter ins Hintertreffen zu geraten“, erklärt Pascal Collubry.
„Besonders betroffen sind in der Regel Kinder mit besonderem Förderbedarf. Wenn diese Kinder aber noch nicht einmal die Möglichkeit haben, die Arbeitsaufträge zu Hause zu bearbeiten, wird sich die Schere in unserer Gesellschaft noch weiter öffnen“, so Co-Präsidentin Ingrid Rosenstein.
„Wir schlagen deshalb vor, dass unter genauen Vorgaben die Notbetreuung in den Schulen für gewisse Kinder geöffnet wird. Schulen, Hausaufgabenschulen, Viertelhäuser, ÖSHZ und Jugendhilfedienste kennen die meisten betroffenen Familien. Wir sollten deshalb entschlossen versuchen, sie ausfindig zu machen“, meint Rosenstein. Letztlich laufen alle Fäden bei den Schulen zusammen, die einschätzen sollten, ob der Bedarf bei einem Kind wirklich gegeben ist. „Wer wirklich keinen Platz zum Lernen hat, braucht Unterstützung!“ Aber auch, wenn Schulen das Arbeiten am Computer voraussetzen, müsse genau hingeschaut werden. „Für Familien ohne Computer und ohne Internet muss eine Lösung gefunden werden. Im Zweifel sollte das heißen, dass Kinder zumindest für eine gewisse Zeit in der Schule arbeiten können“, fordert Jerusalem. „Die Notbetreuung muss gewährleistet werden. Es sind also stets Lehrpersonen am Schulstandort, oder zumindest auf Abruf bereit. Die praktische Umsetzung ist also nicht mit großen zusätzlichen Hürden verbunden“, so der Abgeordnete des PDG.
Die Gefahr, dass zu viele Kinder in die Schulen strömen, müsse anhand klarer Kriterien vermieden werden. Pascal Collubry erklärt dazu: „Es soll kein Betreuungsangebot für gestresste Familien sein. Deren Leistung kann zwar nicht genug gewürdigt werden, doch nur wer keinen Platz und nicht das nötige Material hat, soll in die Schule dürfen und dort dann nötigenfalls die Betreuung in Anspruch nehmen.“ Denn die Einhaltung der Maßnahmen zum Schutz vor dem Corona Virus sei nach wie vor oberste Priorität.
Die Schulen hätten vor den Osterferien rückgemeldet, dass ein gewisser Anteil Schülerinnen und Schüler die Arbeitsaufträge gar nicht bearbeitet habe. „Ab sofort können sich die Leistungen der Heimarbeit auszahlen. Ist die Versetzung eines Kindes gefährdet, kann sich die Arbeit zu Hause positiv auf die Entscheidung des Klassenrates auswirken. Spätestens jetzt müssen wir Lösungen anbieten“, fordert Ingrid Rosenstein.
Und wenn die Anzahl Schüler doch größer ist als erwartet? „Dann müssen wir als Gesellschaft umso mehr entschlossen für die nötige Unterstützung sorgen“, schließen die Ecolo-Vertreter mit einem deutlichen Appell.
Ingrid Rosenstein, Pascal Collubry, Andreas Jerusalem